Projekt: Anthologie
Deutsche Gedichte aus drei Jahrhunderten wider Judenhass und Antisemitismus
Einzelne Texte sende ich auf Anfrage gerne zu (als Email-Datei). Über Hinweise auf wenig bekannte Lyrik zum Thema freue ich mich.
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Gedicht des Monats
Heinrich Heine (1797-1856)
Der tausendjährige Schmerz Brich aus in lauten Klagen, Du düstres Märtyrerlied, Das ich so lang’ getragen Im flammenstillen Gemüt! Es dringt in alle Ohren, Und durch die Ohren ins Herz; Ich habe gewaltig beschworen Den tausendjährigen Schmerz. Es weinen die Großen und Kleinen, Sogar die kalten Herrn, Die Frauen und Blumen weinen, Es weinen am Himmel die Stern’. Und alle die Tränen fließen Nach Süden im stillen Verein, Sie fließen und ergießen Sich all’ in den Jordan hinein.
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Das Korn auf dem Dache Der Frühling ist gekommen, Doch war der Winter scharf Und hat mit weggenommen Den nöthigsten Bedarf; Die Pflüge bleiben stehen, Es fehlt ja an der Saat, Und muß auch was geschehen, So weiß doch Keiner Rath. Da hinkt ein alter Jude In weißem Bart durch's Dorf, Der kroch aus seiner Bude Um etwas Sprock und Torf. Er weilt bei jedem Schober Und späht und bückt sich oft, Und voll ist ihm der Kober, Bevor er's noch gehofft. Die Arbeit ward ihm sauer, Nun will er denn nach Haus, Da tritt ein müß'ger Bauer Aus seiner Thür heraus. Der ruft: Du hast dir Feu'rung Gesammelt aus dem Mist, So sag' auch, ob der Theurung Nicht noch zu wehren ist. Der Alte hebt die Blicke, Doch bis zum Himmel nicht, Dann tickt er mit der Krücke Auf's Hüttendach, und spricht: »War das nicht eine Aehre, Was ich im Stroh dort sah? Wenn's nicht die einz'ge wäre, So ist die Hülfe nah'!« Der Bauer geht zur Leiter Und deckt die Hütte ab, Er drischt sein Stroh noch weiter, Im lust'gen Klipp und Klapp, Und als die Körner springen, Da folgt ihm Mann für Mann, Und das wird so viel bringen, Daß Jeder säen kann.
Adolf Baginsky (1843-1918)
Nimmer vermöchte des Pöbels Hep-Hep-Geschrei mich zu schrecken, Mitleid nur mit dem Schreier Könnte sein Wahn mir erwecken. Härter trifft den Erzogenen Gehässiges Trachten und Denken, Welches den Sinn uns verbitternd Vom Wohlthun zur Härte will lenken. Immer aber beklag´ ich Das antisemitische Treiben, Weil mit der Schande der Schaden Dem bethörten Volke wird bleiben.
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Mein Volk Der Fels wird morsch, Dem ich entspringe Und meine Gotteslieder singe . . . Jäh stürz ich vom Weg Und riesele ganz in mir Fernab, allein über Klagegestein Dem Meer zu. Hab mich so abgeströmt Von meines Blutes Mostvergorenheit. Und immer, immer noch der Widerhall In mir, Wenn schauerlich gen Ost Das morsche Felsgebein, Mein Volk, Zu Gott schreit.
Karl Wolfskehl (1869-1948)
Aufbruch, Aufbruch Schaut nicht zurück, Was säht ihr auch? Was war, ist Rauch, Ihr schreitet frank in Morgens Hauch. Horcht nicht zurück – Lauschen macht krank, Was war, versank. Euch ruft das Wort Von morscher Bank. Denkt nicht zurück, Was war, verdorrt. Ein einziger Hort Ist euch gereift, Der Hort heißt: Dort! Sehnt nicht zurück, Den Stab ergreift! Was war – bereift Vereisten Hang, Der Nordsturm pfeift. Liebt nicht zurück, Was war, zersprang. Der Tag ist lang Verronnen, seit Ein Bild euch zwang! Grollt nicht zurück! Was war – verzeiht! Holt aus befreit, Winkt mit der Hand Gen Abend weit! Wollt nicht zurück, Jung lenzt das Land, Was war, ist Tand, Ist Tod – ihr seid Im Wanderkleid: Fortgehn ist Leid, Fortgehn ist Glück – Bleibt nicht zurück!
Gerson Stern (1874-1956)
Die Letzte Ich hatte Mann und Kinder. Es holte sie der Schinder, Sie starben irgendwo. Doch lieget meine Habe Nicht hier, nicht dort im Grabe – Die Feuer lodern lichterloh. Sie sind von den Millionen, Die nun als Asche wohnen Im Feld, im Drecke irgendwo. Den Schornstein seh’ ich tauchen Ins Blau und rauchen, rauchen – Die Feuer lodern lichterloh. Vielleicht lebt in dem Winde Ein Gruß von meinem Kinde. Denn etwas bleibet irgendwo - - Nun kommen sie mich rufen. Ich steige meine Stufen.... Die Feuer lodern lichterloh.
Albrecht Haushofer (1903-1945)
Schuld Ich trage leicht an dem, was das Gericht Mir Schuld benennen wird: an Plan und Sorgen. Verbrecher wär’ ich, hätt’ ich für das Morgen Des Volkes nicht geplant aus eigner Pflicht. Doch schuldig bin ich anders als ihr denkt: Ich mußte früher meine Pflicht erkennen, Ich mußte schärfer Unheil Unheil nennen – Mein Urteil hab’ ich viel zu lang gelenkt... Ich klage mich in meinem Herzen an: Ich habe mein Gewissen lang betrogen, Ich hab’ mich selbst und andere belogen – Ich kannte früh des Jammers ganze Bahn – Ich hab’ gewarnt – nicht hart genug und klar! Und heute weiß´ ich, was ich schuldig war ...
Albrecht Haushofer (1903-1945)
Untergang Wie hört man leicht von fremden Untergängen, Wie trägt man schwer des eignen Volkes Fall! Vom fremden ist’s ein ferner Widerhall, Im eignen ist’s ein lautes Todesdrängen. Ein Todesdrängen, aus dem Haß geboren, Im Rachetrotz und Übermut gezeugt – Nun wird vertilgt, gebrochen und gebeugt, Und auch das Beste geht im Sturz verloren. Daß dieses Volk die Siege nicht ertrug – Die Mühlen Gottes haben schnell gemahlen. Wie furchtbar muß es nun den Rausch bezahlen. Es war so hart, als es die Andern schlug, So taub für seiner Opfer Todesklagen – Wie mag es nun das Opfer-Sein ertragen...
Rudolf Elcho (1839-1923)
An jeden Hetzprediger (1893) Als Antisemit stehst du eingeschrieben Und bist doch in Wahrheit ein Antichrist. Dein Meister gebot dir, den Nächsten zu lieben, Doch du lehrst, daß hassen verdienstlich ist.
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803)
Aus der Ode „An den Kaiser“ (Joseph II.) Den Priester rufst du wieder zur Jüngerschaft Des großen Stifters; machest zum Untertan Den jochbeladenen Landmann; machst den Juden zum Menschen. Wer hat es geendet, Wie du beginnest? Wenn vor des Ackerbau’s Schweiß nicht für ihn auch triefet des Bauern Stirn, Pflügt er nicht Eigentum dem Säugling, Seufzet er mit, wenn von Erntelasten Der Wagen seufzt: so bürdet Tyrannenrecht Dem Unterdrückten Landeserhaltung auf, Dienst, den die blut’ge Faust des Stärkern Grub in die Tafel. Und die zerschlägst du! Wen faßt des Mitleids Schauer nicht, wenn er sieht, Wie unser Pöbel Kanaans Volk entmenscht! Und tut der’s nicht, weil unsere Fürsten Sie in zu eiserne Fesseln schmieden? Du lösest ihnen, Retter, die rostige, Eng angelegte Fessel vom wunden Arm; Sie fühlen’s, glauben’s kaum. So lange Hat’s um die Elenden hergeklirrt.
Heinrich Heine (1797-1856)
Doña Clara In dem abendlichen Garten Wandelt des Alkaden Tochter; Pauken- und Drommetenjubel Klingt herunter von dem Schlosse. ›Lästig werden mir die Tänze Und die süßen Schmeichelworte, Und die Ritter, die so zierlich Mich vergleichen mit der Sonne. Überlästig wird mir alles, Seit ich sah, beim Strahl des Mondes Jenen Ritter, dessen Laute Nächtens mich ans Fenster lockte. Wie er stand so schlank und mutig, Und die Augen leuchtend schossen Aus dem edelblassen Antlitz, Glich er wahrlich Sankt Georgen.‹ Also dachte Doña Clara, Und sie schaute auf den Boden; Wie sie aufblickt, steht der schöne, Unbekannte Ritter vor ihr. Händedrückend, liebeflüsternd Wandeln sie umher im Mondschein. Und der Zephir schmeichelt freundlich, Märchenartig grüßen Rosen. Märchenartig grüßen Rosen, Und sie glühn wie Liebesboten. - »Aber sage mir, Geliebte, Warum du so plötzlich rot wirst?« »Mücken stachen mich, Geliebter, Und die Mücken sind, im Sommer, Mir so tief verhaßt, als wären's Langenas'ge Judenrotten.« »Laß die Mücken und die Juden«, Spricht der Ritter, freundlich kosend. Von den Mandelbäumen fallen Tausend weiße Blütenflocken. Tausend weiße Blütenflocken Haben ihren Duft ergossen. - »Aber sage mir, Geliebte, Ist dein Herz mir ganz gewogen?« »Ja, ich liebe dich, Geliebter, Bei dem Heiland sei's geschworen, Den die gottverfluchten Juden Boshaft tückisch einst ermordet.« »Laß den Heiland und die Juden«, Spricht der Ritter, freundlich kosend. In der Ferne schwanken traumhaft Weiße Lilien, lichtumflossen. Weiße Lilien, lichtumflossen, Blicken nach den Sternen droben. - »Aber sage mir, Geliebte, Hast du auch nicht falsch geschworen?« »Falsch ist nicht in mir, Geliebter, Wie in meiner Brust kein Tropfen Blut ist von dem Blut der Mohren Und des schmutz'gen Judenvolkes.« »Laß die Mohren und die Juden«, Spricht der Ritter, freundlich kosend; Und nach einer Myrtenlaube Führt er die Alkadentochter. Mit den weichen Liebesnetzen Hat er heimlich sie umflochten; Kurze Worte, lange Küsse, Und die Herzen überflossen. Wie ein schmelzend süßes Brautlied Singt die Nachtigall, die holde; Wie zum Fackeltanze hüpfen Feuerwürmchen auf dem Boden. In der Laube wird es stiller, Und man hört nur, wie verstohlen, Das Geflüster kluger Myrten Und der Blumen Atemholen. Aber Pauken und Drommeten Schallen plötzlich aus dem Schlosse, Und erwachend hat sich Clara Aus des Ritters Arm gezogen. »Horch! da ruft es mich, Geliebter; Doch, bevor wir scheiden, sollst du Nennen deinen lieben Namen, Den du mir so lang verborgen.« Und der Ritter, heiter lächelnd, Küßt die Finger seiner Doña, Küßt die Lippen und die Stirne, Und er spricht zuletzt die Worte: »Ich, Señora, Eu'r Geliebter, Bin der Sohn des vielbelobten, Großen, schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa.«
Adolf Baginsky (1843-1918)
Nimmer vermöchte des Pöbels Hep-Hep-Geschrei mich zu schrecken Mitleid nur mit dem Schreier Könnte sein Wahn mir erwecken. Härter trifft den Erzogenen Gehässiges Trachten und Denken Welches den Sinn uns verbitternd Vom Wohlthun zur Härte will lenken. Immer aber beklag´ ich Das antisemitische Treiben, Weil mit der Schande der Schaden Dem bethörten Volke wird bleiben.
Werner Bergengruen (1892-1964)
Die letzte Epiphanie Ich hatte dies Land in mein Herz genommen, ich habe ihm Boten um Boten gesandt. In vielen Gestalten bin ich gekommen. Ihr aber habt mich in keiner erkannt. Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer, ein Flüchtling, gejagt, mit zerrissenen Schuhn. Ihr riefet dem Schergen, ihr winktet dem Späher und meintet noch Gott einen Dienst zu tun. Ich kam als zitternde, geistgeschwächte Greisin mit stummem Angstgeschrei. Ihr aber spracht vom Zukunftsgeschlechte und nur meine Asche gabt ihr frei. Verwaister Knabe auf östlichen Flächen, ich fiel euch zu Füßen und flehte um Brot. Ihr aber scheutet ein künftiges Rächen, ihr zucktet die Achseln und gabt mir den Tod. Ich kam, ein Gefangner, als Tagelöhner, verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt. Ihr wandtet den Blick von dem struppigen Fröner. Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?
Martin Buber (1878-1965)
Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms, an die mich auch eine Tradition meiner Ahnen bindet; und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber. Wenn ich hinüberfahre, gehe ich immer zuerst zum Dom. Das ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt ... Dann geh ich zum jüdischen Friedhof hinüber. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich darein, blicke von diesem Friedhofsgewirr zu einer herrlichen Harmonie empor, und mir ist, als sähe ich von Israel zur Kirche auf ... Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden. Ich liege am Boden hingestürzt wie diese Steine. Aber gekündigt ist mir nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden.
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Der Jude an den Christen Ich sank zu deinen Füßen bleich und blutend, Ich zeigte stumm auf die Vergangenheit; Ich rief, im Sterben selbst mich noch ermutend: Sei du mein Heiland, jüngste, stolze Zeit! Du standest still vor mir, mich ernst betrachtend, Dein Blick, umwölkt zwar, schien doch mitleidsvoll, So daß mein Herz, bisher verzweifelnd schmachtend, Zum erstenmal von sanfter Hoffnung schwoll. Doch ach! Du zähltest schweigend nur die Wunden, Die langsam mich, bis auf den Kern zerstört, Du fandest schaudernd alle unverbunden Und wandest dich, im Innersten empört. Nun prägt mich, allen Zeiten zu beweisen, Daß mich kein Mensch mehr Bruder nennen kann, Dein Griffel, Zug um Zeug, in Stein und Eisen; Dann wiederholst du streng den alten Bann. O, zerr es nur aus dunklem Tabernakel Hervor, mein Bild, zerrissen und entstellt; O, stell es nur mit jedem seiner Makel Im Glanz der Sonne auf vor aller Welt! Was war in eurer Märt`rer Leib zu lesen, Wenn man zerfetzt hervor sie stieß an Licht? Doch nur, wie hart die Folterbank gewesen - Für Sünden hielt man ihre Wunden nicht!
Gabriel Riesser (1806-1863)
Die Thora ("Hagbaha") Dies ist die Thora, dies das Wort, Das Gott uns hat gegeben, Daß wir`s bewahren fort und fort Und tragen durch das Leben. Dies ist das himmlische Panier, Um das wir mutig stritten, Und tausend Tode haben wir Um dies Panier gelitten. Gott, unser König, Gott der Macht! Du gabst es unsern Ahnen, verloren haben wir die Schlacht, doch hier sind unsere Fahnen. Wohl mancher ward, in sie gehüllt, Den Flammen übergeben, Wohl mancher ließ auf diesem Schild Durchbohrt sein tapf`res Leben. Der Feind schoß Pfeile, Feuer, Gift In nie gestilltem Streite, Wir retteten die Gottesschrift, Sonst alles ward zur Beute. Drum heben wir sie freudig auf, Wir dürfen kühn sie zeigen, Sie ist gekauft um hohen Kauf, Um hohen Kauf uns eigen. Die Kämpfer ruh`n, doch würden sie Je wieder uns erreichen, Sie sollen`s finden, daß wir nie Von unsern Fahnen weichen. "Hagbaha" (hebräisch): das Emporheben der Thorarolle am Schlusse der Vorlesung
Heinrich Heine (1797-1856)
Der tausendjährige Schmerz Brich aus in lauten Klagen, Du düstres Märtyrerlied, Das ich so lang` getragen Im flammenstillen Gemüt! Es dringt in alle Ohren, Und durch die Ohren ins Herz; Ich habe gewaltig beschworen Den tausendjährigen Schmerz. Es weinen die Großen und Kleinen, Sogar die kalten Herrn, Die Frauen und Blumen weinen, Es weinen am Himmel die Stern`. Und alle Tränen fließen Nach Süden im stillen Verein, Sie fließen und ergießen Sich all` in den Jordan hinein.
Adalbert von Chamisso (1781-1838)
Die Sonne bringt es an den Tag Gemächlich in der Werkstatt saß Zum Frühtrunk Meister Nikolas, Die junge Hausfrau schenkt' ihm ein, Es war im heitern Sonnenschein. - Die Sonne bringt es an den Tag. Die Sonne blinkt von der Schale Rand, Malt zitternde Kringeln an die Wand, Und wie den Schein er ins Auge faßt, So spricht er für sich, indem er erblaßt: »Du bringst es doch nicht an den Tag.« »Wer nicht? was nicht?« die Frau fragt gleich, »Was stierst du so an? was wirst du so bleich?« Und er darauf: »Sei still, nur still; Ich's doch nicht sagen kann, noch will. Die Sonne bringt's nicht an den Tag.« Die Frau nur dringender forscht und fragt, Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt, Mit süßem und mit bitterm Wort, Sie fragt und plagt ihn fort und fort: »Was bringt die Sonne nicht an den Tag?« »Nein, nimmermehr!« - »Du sagst es mir noch.« »Ich sag es nicht.« - »Du sagst es mir doch.« - Da ward zuletzt er müd und schwach, Und gab der Ungestümen nach. - Die Sonne bringt es an den Tag. »Auf der Wanderschaft, 's sind zwanzig Jahr, Da traf es mich einst gar sonderbar, Ich hatt nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh', War hungrig und durstig und zornig dazu. - Die Sonne bringt's nicht an den Tag. Da kam mir just ein Jud in die Quer, Ringsher war's still und menschenleer: Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not; Den Beutel her, sonst schlag ich dich tot! Die Sonne bringt's nicht an den Tag. Und er: Vergieße nicht mein Blut, Acht Pfennige sind mein ganzes Gut! Ich glaubt ihm nicht, und fiel ihn an; Er war ein alter, schwacher Mann - Die Sonne bringt's nicht an den Tag. So rücklings lag er blutend da, Sein brechendes Aug in die Sonne sah; Noch hob er zuckend die Hand empor, Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr: Die Sonne bringt es an den Tag. Ich macht ihn schnell noch vollends stumm, Und kehrt ihm die Taschen um und um: Acht Pfenn'ge, das war das ganze Geld. Ich scharrt ihn ein auf selbigem Feld - Die Sonne bringt's nicht an den Tag. Dann zog ich weit und weiter hinaus, Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. - Du weißt nun meine Heimlichkeit, So halte den Mund und sei gescheit; Die Sonne bringt's nicht an den Tag. Wann aber sie so flimmernd scheint, Ich merk es wohl, was sie da meint, Wie sie sich müht und sich erbost, - Du, schau nicht hin, und sei getrost: Sie bringt es doch nicht an den Tag.« So hatte die Sonn eine Zunge nun, Der Frauen Zungen ja nimmer ruhn. - Gevatterin, um Jesus Christ! Laßt Euch nicht merken, was Ihr nun wißt. - Nun bringt's die Sonne an den Tag. Die Raben ziehen krächzend zumal Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl. Wen flechten sie aufs Rad zur Stund? Was hat er getan? wie ward es kund? Die Sonne bracht es an den Tag.
Gottfried Keller (1819-1890)
Die öffentlichen Verleumder Ein Ungeziefer ruht In Staub und trocknem Schlamme Verborgen, wie die Flamme In leichter Asche tut. Ein Regen, Windeshauch Erweckt das schlimme Leben, Und aus dem Nichts erheben Sich Seuche, Glut und Rauch. Aus dunkler Höhle fährt Ein Schächer, um zu schweifen, Nach Beuteln möcht’ er greifen Und findet bessern Wert: Er findet einen Streit Um nichts, ein irres Wissen, Ein Banner, das zerrissen, Ein Volk in Blödigkeit. Er findet, wo er geht, Die Leere dürft’ger Zeiten, Da kann er schamlos schreiten, Nun wird er ein Prophet; Auf einen Kehricht stellt Er seine Schelmenfüße Und zischelt seine Grüße In die verblüffte Welt. Gehüllt in Niedertracht Gleichwie in eine Wolke, Ein Lügner vor dem Volke, Ragt bald er groß an Macht Mit seiner Helfer Zahl, Die hoch und niedrig stehend, Gelegenheit erspähend, Sich bieten seiner Wahl. Sie teilen aus sein Wort, Wie einst die Gottesboten Getan mit den fünf Broten, Das klecket fort und fort! Erst log allein der Hund, Nun lügen über tausend; Und wie ein Sturm erbrausend, So wuchert jetzt sein Pfund. Verwandelt sind die Lande, Die Menge lebt in Schande Und lacht der Schofeltat! Jetzt hat sich auch erwahrt, Was erstlich war erfunden: Die Guten sind verschwunden, Die Schlechten stehn geschart! Wenn einstmals diese Not Lang wie ein Eis gebrochen, Dann wird davon gesprochen, Wie von dem schwarzen Tod Und einen Strohmann baun Die Kinder auf der Heide Zu brennen Lust aus Leide Und Licht aus altem Grau’n.
Martina Jansen (1971)
Zion relectured1 (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin) „Rauch bist du, meine Tochter, Rauch bist du, deine Augen sind Nebel. Dreh dich um, Nebel-Tochter, Dreh dich um, dreh dich um, daß du mich siehst.“ „Nebel bist du, DU, fern und dein Name ist Rauch. Ich lief dir nach, und ich sank zu Boden. Ich suchte dich, und ich wurde blind. Ich rief dich, und du gabst keine Antwort.“ in das Verstummen spiel, werde licht, stimm an zu neuem Lied, Nebel-Tochter Sulamith.“ 1) Vgl. Hld 1,15-16; 7,1; 1,15-16; 5,6; Jes 60,1.
Edwin Bormann (1851-1912)
Kinderscene (1893) Lädt sich Käthchen kleine Gäste: Anni Hoffmann, Suse Beyer, Minchen Walther, Doris Schreier, Evchen Müller, Elsa Strauch – „Kommt den das Rebekkchen auch?“ – „Was, Rebekka Silberstein?! Juden lad´ ich niemals ein. Gabst du in der Schul´ nicht Acht, Daß sie Jesum todt gemacht?“ – „Unser Lehrer meint das, ja; Doch es sagt mir die Mama (Und die weiß doch vielerlei): Silberstein´s war´n nicht dabei!“ All mein Herz es lacht dir zu. Besser wär´s um sie bestellt, Zöge siegreich durch die Welt Deine Friedensmelodei: „Silberstein´s war´n nicht dabei!“
Julius Stettenheim (1831-1916)
Im Concert (1893) Du bist wie eine Blume, - Ein wundervoller Text, Das ist das Lied der Lieder, Das hat mich schier behext! Ich finde auf dem Programme Des Dichters Namen nicht, Es ist gewiß von Goethe, So deutsch, so tief, so schlicht. Das Liedchen ist von Heine.“ Ein Jude machte das Lied? Jetzt find’ ich’s ganz abscheulich, Ich bin Antisemit.
Theodor Fontane (1819-1898)
An meinem Fünfundsiebzigsten (Prähistorischer Adel) Hundert Briefe sind angekommen, Ich war vor Freude wie benommen, Nur etwas verwundert über die Namen Und über die Plätze, woher sie kamen. Ich dachte, von Eitelkeit eingesungen: Du bist der Mann der „Wanderungen“, Du bist der Mann der märk´schen Gedichte, Du bist der Mann der märk´schen Geschichte, Du bist der Mann des alten Fritzen Und derer, die mit ihm bei Tafel sitzen, Einige plaudernd, andere stumm, Erst in Sanssouci, dann in Elysium; Du bist der Mann der Jagow und Lochow, Der Stechow und Bredow, der Quitzow und Rochow, Du kanntest keine größeren Meriten Als die von Schwerin und vom alten Zieten, Du fandest in der Welt nichts so zu rühmen Als Oppen und Groeben und Kracht und Thümen; An der Schlachten und meiner Begeisterung Spitze Marschierten die Pfuels und Itzenplitze, Marschierten aus Uckermark, Havelland, Barnim Die Ribbecks und Kattes, die Bülow und Arnim, Marschierten die Treskows und Schlieffen und Schlieben – Und über alle hab´ ich geschrieben. Aber die zum Jubeltag kamen, Das waren doch sehr, sehr andre Namen, Auch „sans peur et reproche“, ohne Furcht und Tadel, Aber fast schon von prähistorischem Adel: Die auf „berg“ und auf „heim“ sind gar nicht zu fassen, Sie stürmen ein in ganzen Massen, Meyers kommen in Bataillonen, Auch Pollacks und die noch östlicher wohnen; Abram, Isack, Israel, Alle Patriarchen sind zur Stell, Stellen mich freundlich an ihre Spitze, Was sollen mir da noch die Itzenplitze! Jedem bin ich was gewesen, Alle haben sie mich gelesen, Alle kannten mich lange schon, Und das ist die Hauptsache... „Kommen Sie, Cohn!“ Hundert Briefe sind angekommen, Ich war vor Freude wie benommen, Nur etwas verwundert über die Namen Und über die Plätze, woher sie kamen. Ich dachte, von Eitelkeit eingesungen: Du bist der Mann der „Wanderungen“, Du bist der Mann der märk´schen Gedichte, Du bist der Mann der märk´schen Geschichte, Du bist der Mann des alten Fritzen Und derer, die mit ihm bei Tafel sitzen, Einige plaudernd, andere stumm, Erst in Sanssouci, dann in Elysium; Du bist der Mann der Jagow und Lochow, Der Stechow und Bredow, der Quitzow und Rochow, Du kanntest keine größeren Meriten Als die von Schwerin und vom alten Zieten, Du fandest in der Welt nichts so zu rühmen Als Oppen und Groeben und Kracht und Thümen; An der Schlachten und meiner Begeisterung Spitze Marschierten die Pfuels und Itzenplitze, Marschierten aus Uckermark, Havelland, Barnim Die Ribbecks und Kattes, die Bülow und Arnim, Marschierten die Treskows und Schlieffen und Schlieben – Und über alle hab´ ich geschrieben. Aber die zum Jubeltag kamen, Das waren doch sehr, sehr andre Namen, Auch „sans peur et reproche“, ohne Furcht und Tadel, Aber fast schon von prähistorischem Adel: Die auf „berg“ und auf „heim“ sind gar nicht zu fassen, Sie stürmen ein in ganzen Massen, Meyers kommen in Bataillonen, Auch Pollacks und die noch östlicher wohnen; Abram, Isack, Israel, Alle Patriarchen sind zur Stell, Stellen mich freundlich an ihre Spitze, Was sollen mir da noch die Itzenplitze! Jedem bin ich was gewesen, Alle haben sie mich gelesen, Alle kannten mich lange schon, Und das ist die Hauptsache... „Kommen Sie, Cohn!“
Johann Peter Hebel (1760-1826)
Wie heißt des Kaisers Töchterlein? Ratet aus, ratet ein! Wie heißt des Kaisers Töchterlein? Wie heißt das grausame Mädchen? Einst spann es am blutigen Rädchen, Einst schürt’ es hell die Flammen an Zum Menschenbraten lobesan; Dann zeichnet es rote Stickerei Auf Judenhaut zu guter Frist; Anjetzt es eine alte Jungfer ist, Und doch sind ihm noch Männer treu. (Antwort: Constitutio Criminalis Carolina; Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532)
Heinrich Heine (1797-1856)
An Edom! Ein Jahrtausend schon und länger, Dulden wir uns brüderlich, Du, du duldest, daß ich atme, Daß du rasest, dulde Ich. Manchmal nur, in dunkeln Zeiten, Ward dir wunderlich zu Mut, Und die liebefrommen Tätzchen Färbtest du mit meinem Blut! Jetzt wird unsre Freundschaft fester, Und noch täglich nimmt sie zu; Denn ich selbst begann zu rasen, Und ich werde fast wie Du.
Ada Christen 1844-1901
Ein Jude Das kleine Mützlein In den Nacken gerückt, Die alten Schuhe Bestaubt und geflickt, Das morsche Gewand Beschmutzt und zerknittert, Sein gelbes Gesicht Durchfurcht und verwittert, Die weißen Locken Zerrüttet und wild, Die klugen Augen Versöhnungsmild..... Nur um den Mund Ein lächelnder Zug, Klagt wie viel Schmach Der Greis einst trug - Wie ängstlich lächelnd Und zitternd er Sein Haupt gebeugt Vor Knecht und Herr - - - - - Es wurde Licht! - Er wurde frei - Der Fluch und die Schmach Sie zogen vorbei Von seinem Elend Blieb ihm nur Des Sclavenlächelns Tiefe Spur.
Klabund (Pseud. für Alfred Henschke; 1890 – 1928)
Pogrom Am Sonntag fällt ein kleines Wort im Dom, Am Montag rollt es wachsend durch die Gasse, Am Dienstag spricht man schon vom Rassenhasse, Am Mittwoch rauscht und raschelt es: Pogrom! Am Donnerstag weiß man es ganz bestimmt: Die Juden sind an Rußlands Elend schuldig! Wir waren nur bis dato zu geduldig. (Worauf man einige Schlucke Wodka nimmt...) Der Freitag bringt die rituelle Leiche, Man stößt den Juden Flüche in die Rippen Mit festen Messern, daß sie rückwärts kippen. Die Frauen wirft man in diverse Teiche. Am Samstag liest man in der »guten« Presse: Die kleine Rauferei sei schon behoben, Man müsse Gott und die Regierung loben... (Denn andernfalls kriegt man eins in die Fresse.)
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Das Korn auf dem Dache Der Frühling ist gekommen, Doch war der Winter scharf Und hat mit weggenommen Den nöthigsten Bedarf; Die Pflüge bleiben stehen, Es fehlt ja an der Saat, Und muß auch was geschehen, So weiß doch Keiner Rath. Da hinkt ein alter Jude In weißem Bart durch's Dorf, Der kroch aus seiner Bude Um etwas Sprock und Torf. Er weilt bei jedem Schober Und späht und bückt sich oft, Und voll ist ihm der Kober, Bevor er's noch gehofft. Die Arbeit ward ihm sauer, Nun will er denn nach Haus, Da tritt ein müß'ger Bauer Aus seiner Thür heraus. Der ruft: Du hast dir Feu'rung Gesammelt aus dem Mist, So sag' auch, ob der Theurung Nicht noch zu wehren ist. Der Alte hebt die Blicke, Doch bis zum Himmel nicht, Dann tickt er mit der Krücke Auf's Hüttendach, und spricht: »War das nicht eine Aehre, Was ich im Stroh dort sah? Wenn's nicht die einz'ge wäre, So ist die Hülfe nah'!« Und deckt die Hütte ab, Er drischt sein Stroh noch weiter, Im lust'gen Klipp und Klapp, Und als die Körner springen, Da folgt ihm Mann für Mann, Und das wird so viel bringen, Daß Jeder säen kann.
Friederike Kempner (1836 – 1904)
Die Judenkirsche. (Physallis Alkekengi) Ein kleines, ernstes Bäumchen Streckt seine Zweige aus, Es ließ nicht gern sich essen, Und Haß war drum sein Los! Hellrot sind seine Früchte, Die Blüten weiß wie Schnee, Es zeuget die Geschichte Von Bäumchens Schmerzensweh!
Hugo Salus (1866 –1929)
Der Heimatlose Was wißt ihr, die ihr Heimat habt, Vom Heimatwunsch des Heimatlosen! Mag euch der Schicksalssturm umtosen, Ach, ihr seid reich und seid begabt! So arm ihr sein mögt, seid voll Mut, Kehrt heimwärts, ihr pocht nie vergebens Am Heimatstor: im Boden ruht Dort fest der Anker eures Lebens. Nicht dort ist Heimat, wo in Wehn Die Mutter euch ins Leben setzte, Dort, wo als Fluchtstatt noch, als letzte, Der Kindheitsträume Burgen stehn, Wo ihr noch Kinder durftet sein, Eh´ daß ihr mußtet Menschen werden! Doch weh dem Elenden, dem Haß Schon seinen Kindheitswahn zerstörte, Dem nicht ein Häufchen Sand gehörte: Des Nachbars Kind mißgönnt ihm das! Der durch sein Blut, der Mutter Wort Ein andrer schien ringsum den andern, Ihn stößt die Heimat grausam fort, Und seine Heimat liegt im Wandern. Mein Kind, mein Ruh, ich beuge mich In banger Liebe auf dich nieder; Dir schließt der Frieden noch die Lider, Und traumlos schaust du noch um dich. Doch bald erwachst auch du zum Traum Und sollst dir deine Heimat gründen: Dann mögen deine Füßchen Raum Für ihre Kinderheimat finden.
Adalbert von Chamisso (1781-1838)
Abba Glosk Leczeka Es schallen gut im Liede der Purpur und das Schwert, Doch hüllt sich oft in Lumpen, der auch ist preisenswert; Ich führ euch einen Juden und Bettler heute vor, Den Abba Glosk Leczeka, verschließt ihm nicht das Ohr. Er harrte vor der Türe von Moses Mendelssohn Gelassen und geduldig vor Sonnenaufgang schon; Wie hoch in Himmelsräumen zu steigen sie begann, Trat erst aus seiner Wohnung der weitberühmte Mann. Ihn grüßt der fremde Bettler in polnisch jüd'scher Tracht, Sein Gruß den Schriftgelehrten dem andern kenntlich macht, Er aber geht vorüber: »An Zeit es mir gebricht!« - Der Fremde weicht zurücke, doch von der Schwelle nicht. Und Mittag ward's und Abend, und als zur Nacht es ging, Die Stadt in ihren Straßen die Schatten schon empfing, Kam heim zu seinem Herde der weitberühmte Mann, Da grüßt' ihn noch der Bettler, wie morgens er getan. Er sucht in seiner Börse nach einem Silberstück, Ihm hält der fremde Bettler die milde Hand zurück: »Das nicht von dir begehr ich, nur dein lebend'ges Wort, Mich führt der Durst nach Wahrheit allein an diesen Ort.« - »Du scheinst der kleinen Gabe bedürftig mir zu sein.« - »Du hältst mich für unwürdig der größern!« - »Tritt herein! Suchst redlich du die Wahrheit, die vielen so verhaßt, So sei dem Gleichgesinnten ein liebgehegter Gast.« Beim wogenden Gespräche, beim häuslich trauten Mahl, Beim Becher edlen Weines, dem flüss'gen Sonnenstrahl, Erblüht dem fremden Bettler die Rede wunderbar, Ein Gläub'ger und ein Denker, wie nie noch einer war. Er hat des Wortes Fessel gesprengt mit Geistes-Kraft, Er hängt am Guten, Wahren so recht mit Leidenschaft, Er sprühet Lichtgedanken so machtvoll vor sich hin, So eignen Reiz verleiht ihm sein heitrer froher Sinn. Und ob des seltnen Mannes verwundert und erfreut, Der seine Neigung fesselt und Ehrfurcht ihm gebeut, Fragt Mendelssohn ihn traulich: »Wie haben Schul und Welt So seltsam dich erzogen und deinen Geist erhellt?« Drauf er: »Du lenkst vom Lichte die Blicke niederwärts, Zu forschen nach dem Menschen und schauen ihm ins Herz; Ich zeige mich dem Freunde, und meinen Weg und Ziel, Und melde, wie die Binde mir von den Augen fiel. Mein Forschen und mein Trachten, das bin ich selbst und ganz; Minuten so wie diese sind meines Lebens Glanz; Ich trage sechzig Jahre noch frisch und wohlgemut, Noch schmilzt den Schnee des Alters des Herzens innre Glut. Zu Glosk in unsern Schulen bekam ich Unterricht; Der Talmud und der Talmud! sie wußten andres nicht; Verhangen und verfinstert das göttliche Gebot, Das leis aus tiefstem Herzen sich doch mir mahnend bot. Wie hab ich oft mit Schmerzen die stumme Mitternacht Auf ihren toten Büchern verstört herangewacht; Wie hätt ich fromm und willig den Lehrern nur geglaubt, Und wiegte doch verneinend mein sorgenschweres Haupt. Und nun ich sollte lehren, so wie ich selbst belehrt, Da hat sich mir die Rede gar wundersam verkehrt; Da schalt aus mir die Stimme auf Satzungen und Trug, Dem Blitze zu vergleichen, der aus den Wolken schlug. Sie haben sich entsetzet, sie haben mich fortan Bedrohet und gefährdet und in den Bann getan; Ich hatte mich gefunden, ich war, der ich nun bin, Ich folgte meiner Sendung mit leichtem, freud'gem Sinn. So wallt ich, in der Heimat ein Fremder, nun hinfort Verstoßen, fluchbeladen, unstät von Ort zu Ort, Und forschte, sprach und lehrte, und trachtete doch nur, Das arme Volk zu leiten auf eine beßre Spur. Und dreizehn Bücher hatt ich verfaßt mit allem Fleiß, Die Bücher, sie enthielten das Beste, was ich weiß; Zu Wilna, oh! da waren fast grausam allzusehr Die Ältesten des Volkes, wie nirgends anders mehr. Sie haben meine Bücher zerrissen insgesamt, Und haben zu den Flammen sie ungehört verdammt; Sie schichteten den Holzstoß beim alten Apfelbaum Vor ihrer Synagoge im innern Hofesraum. Da standen in dem Rauche die Alten blöd und blind, Den schlug auf sie hernieder ein mächt'ger Wirbelwind, Gereinigt schwang die Flamme sich zu dem höhern Licht; Den Geist, das Licht, die Sonne vernichten sie doch nicht. Ich selbst ich sollte sterben, kaum heimlich war der Rat; Doch fand sich ein Rabbiner, der um mein Leben bat, Ich wurde bloß gegeißelt, und als man frei mich gab, So griff ich heitern Sinnes zu meinem Wanderstab. Der freud'ge, rüst'ge Waller zieht über Berg und Tal, Ihm scheinet, ihn erwärmet der lieben Sonne Strahl, Der Schoß der grünen Erde empfängt mit rechter Lust Sein müdes Haupt am Abend, er ruht an Mutterbrust. Wer je von seinen Brüdern den Hunger selber litt, Teilt ihm vom letzten Brote gern einen Brocken mit, Er zieht durch Land und Städte und rühmt sich reich und frei, Und weiß von keiner Armut und keiner Sklaverei. Vor Sprach- und Stammverwandten entquillt an jedem Ort Aus übervollem Herzen ihm das lebend'ge Wort, Zu lehren und zu bessern, zu sichten sonder Scheu Den Glauben von dem Wahne, den Weizen von der Spreu. Ist Felsen auch der Boden, die Saat verstreue nur! Es träufelt auf den Felsen, wie auf die grüne Flur, Des Ew'gen milder Regen. Beharrlichkeit! Geduld! Du zahlest deinem Schöpfer so deines Lebens Schuld. Und herwärts zog mich mächtig und ahndungsvoll mein Herz, Von deines Namens Klange gelockt, du reines Erz; Du bist, den ich gesuchet, du, der vom Wahne fern Zerbricht die hohle Schale und sucht nach ihrem Kern. Das will auch ich, so reiche mir deine liebe Hand, Wir schaffen hier und knüpfen ein gottgefällig Band; Das Licht, das ist das Gute; die Finsternis, die Nacht, Das ist das Reich der Sünde und ist des Bösen Macht. Dir strömet von den Lippen ein ruhig klarer Born, Es leiht gewalt'ge Worte mir oft ein heil'ger Zorn; So laß vor unserm Volke zerreißen uns vereint Des Aberglaubens Schleier, bis hell der Tag ihm scheint. Nicht träge denn, nicht lässig; die Hand ans Werk gelegt! Versammle du die Jünger, es tagt, die Stunde schlägt! Wir hammern an den Felsen, bis hell der Stein erklingt, Und an das Licht der Sprudel lebend'gen Wassers springt.« Darauf mit Rührung lächelnd der Wirt zu seinem Gast: »Genügt dir nicht, du Guter, was du erduldet hast? Soll wiederum sich schichten ein Scheiterhaufen? kann Die Geißel nicht dich lehren? du lehrbegier'ger Mann! Du forschest nach der Wahrheit; erkenne doch die Welt, Die fester als am Glauben am Aberglauben hält; Was je gelebt im Geiste, gehört der Ewigkeit, Nur ruft es erst ins Leben die allgewalt'ge Zeit. Bleib hie und lerne schweigen, wo sprechen nicht am Ort; Du magst im Stillen forschen, erwägen Geist und Wort, Und magst das Korn der Furche der Zeiten anvertraun; Vielleicht wird einst dein Enkel die goldnen Saaten schaun.« Drauf er: »Du schweigst, du Kluger, und schweigen soll mein Mund! So sprich, wer soll denn reden und tun die Wahrheit kund? Du helles Licht des Geistes sollst leuchten freundlich mir; Die Hand darauf! - wir scheiden! mein Pfad, der trennt sich hier.« Er ging; dem Flammengeiste, dem Flammenherzen galt Für Feigheit jede Vorsicht, und freundlich zürnend schalt Ihn Mendelssohn vergebens; er ging und lehrt' und sprach, Bis über ihn aufs neue das Ungewitter brach. Die Ältesten des Volkes entrüstet, luden ihn Vor ihre Schranken: »Rede, was machst du in Berlin?« - »Ich forsch in dem Gesetze, darüber sprech ich auch Mit andern Schriftgelehrten nach hergebrachtem Brauch.« - »Du stehst in keinem Dienste? hast kein Gewerbe?« - »Nein! Ich kann und will nicht handeln, und mag nicht dienstbar sein.« - »Und wir, nach hies'ger Ordnung, verbieten diese Stadt Dem ärgerlichen Neurer, der hier gelästert hat.« Darauf erhob sich Abba und sprach: »Hartherzigkeit, Du bist zur Ordnung worden, du herrschest hier zur Zeit! Und kennt ihr den Propheten Jeremia denn nicht, Der so aus meinem Munde zu euch, ihr Starren, spricht: 'Die Missetat der Tochter von Sion, unerhört! Verdunkelt Sodoms Sünde, die doch mein Grimm zerstört.' Die Schrift und die Propheten, die les ich Tag und Nacht, Und hab auch andre Worte zu eigen mir gemacht! 'Du sollst dich nicht entsetzen, und sollst, du Menschenkind, Vor ihnen dich nicht fürchten, die mir abtrünnig sind; Du wohnst bei scharfen Dornen und Skorpionen dort, Doch sollst du dich nicht fürchten, verkündest du mein Wort.'« Sie holten ihn am Abend wohl mit der Polizei, Ihn auf die Post zu bringen, er rief den Freund herbei, Der schafft' ihm einen Dienstschein, geschirmet war er so Vor seinen Widersachern, sie waren des nicht froh. Und eine Rechnung reichten zur Zahlung sie ihm dar, Wo Postgeld nebst der Bütteln Gebühr verzeichnet war; Er aber sprach und lachte: »Geduldet euch, ihr Herrn, Hier paßt wohl ein Geschichtchen, und ich erzähl es gern: Den Unsern wird zu Lemberg ein kummervolles Los, Die jungen Herrn, die Schüler sind ganz erbarmungslos, Den armen Unterdrückten mißhandeln sie und schmähn, Und werfen ihn mit Steinen, wo immer sie ihn sehn. Als einer, den sie schlugen, nah am Verscheiden war, Vermaß sich die Gemeinde, bedrängt von der Gefahr, Den Jesuiten Obern zu klagen ihre Not; Die haben unparteiisch erlassen ein Verbot: Es dürfen nicht die Schüler aus eitlem Zeitvertreib Die Juden so mißhandeln, daß sie an ihrem Leib Beschädigt werden möchten; es wird auch untersagt, Blutrünstig sie zu schlagen, wie eben wird geklagt. Ein arglos Schimpfen, Werfen, ein Stoß und solcherlei, Das müssen sie erdulden und steht den Schülern frei, Weil mancher unter diesen ist guter Eltern Kind, Und Juden doch am Ende nur eben Juden sind. Ein Jud in diesen Tagen, der her die Straße kam, Bemerkte, daß ein Schüler ihn recht zum Ziele nahm, Er bückte sich bei Zeiten, und wich dem Stein noch aus, Der klirrend flog ins Fenster dem nächsten Bürgerhaus. Die Scheibe war zerbrochen; der Bürger säumte nicht, Und zog, Ersatz zu fodern, den Juden vor Gericht: 'Denn hättest du gestanden dem Wurf, wie sich's gebührt, So wurde von dem Steine mein Fenster nicht berührt.' 'Ihr habt den Stein geworfen, ich habe mich gebückt, So hat der Wurf die Scheibe des Nachbars nur zerstückt; Ich soll die Scheibe zahlen, das Recht, das eure, spricht's, Doch hat das Recht verloren, denn, seht! ich habe nichts.'« Als jene sich entfernet, verblieben noch die zwei Im traulichen Gespräche, sie dachten laut und frei; Begegnen sich die Geister verwandt im Lichtrevier, Das ist des Lebens Freude, das ist des Lebens Zier. Und Abba zu dem Freunde: »Bin friedlich ja gesinnt, Du siehst, daß aller Orten sich Hader um mich spinnt; Frei muß ich denken, sprechen und atmen Gottes Luft, Und wer die drei mir raubet, der legt mich in die Gruft. Von hinnen will ich ziehen, den Wanderstab zur Hand Ein Land der Freiheit suchen, nach Holland, Engelland; Der Druck hat hier den Juden Bedrückung auch gelehrt, Wohl wird er Duldung üben, wo Duldung er erfährt.« Und Mendelssohn dagegen und schüttelte das Haupt: »Du liebewerter Schwärmer, der noch an Duldung glaubt, Zeuch hin, dich bloß zu geben auch dort der Eulenbrut! Dein zugewognes Glücksteil, das ist dein froher Mut.« - »Mein zugewognes Glücksteil, das ist die Liebe mein Zu meinem Volk; mein Glaube, zu bessern müss' es sein; Mein Hoffen, mitzuwirken dazu mit Gut und Blut; Du nennst die drei zusammen, das ist mein froher Mut.« Und frohen Mutes nahm er den Wanderstab zur Hand, Und zog wohl in die Fremde, nach Holland, Engelland; Den blut'gen Welterobrer verfolgt die Sage nur, Vom Menschenfreund und Bettler verlieret sich die Spur. Zurück nach manchen Jahren gleich frohen Mutes kam Er nach Berlin gewandert; sein rechter Arm war lahm; Und blind sein andres Auge, vernarbt sein Angesicht, Sein Herz allein, das alte, verändert war es nicht. So trat er freundlich lächelnd vor Moses Mendelssohn: »Wie dort es mir ergangen, du Kluger, siehst es schon; Sie haben mich geschmähet, mißhandelt und verbannt, War ihnen Macht gegeben, sie hätten mich verbrannt.« Und wieder frohen Mutes, da ihn Berlin verstieß, Zog er nach seiner Heimat, die Haß ihm nur verhieß, Da wallt' er rüst'gen Schrittes, ein Fremder, fort und fort, Verstoßen, fluchbeladen, unstät von Ort zu Ort. Einst sucht' er wohl vergebens seit manchem Tag vielleicht, Wer ihm von seinem Brote das dürft'ge Stück gereicht; Der Schoß der Mutter Erde empfing zur letzten Ruh Sein graues Haupt, ihm fielen die müden Augen zu.
Heinrich Heine (1797 – 1856)
Disputation In der Aula zu Toledo Klingen schmetternd die Fanfaren; Zu dem geistlichen Turnei Wallt das Volk in bunten Scharen. Das ist nicht ein weltlich Stechen, Keine Eisenwaffe blitzet - Eine Lanze ist das Wort, Das scholastisch scharf gespitzet. Nicht galante Paladins Fechten hier, nicht Damendiener - Dieses Kampfes Ritter sind Kapuziner und Rabbiner. Statt des Helmes tragen sie Schabbesdeckel und Kapuzen; Skapulier und Arbekanfeß Sind der Harnisch, drob sie trutzen. Welches ist der wahre Gott? Ist es der Hebräer starrer Großer Eingott, dessen Kämpe Rabbi Juda' der Navarrer? Oder ist es der dreifalt'ge Liebegott der Christianer, Dessen Kämpe Frater Jose, Gardian der Franziskaner? Durch die Macht der Argumente, Durch der Logik Kettenschlüsse Und Zitate von Autoren, Die man anerkennen müsse, Will ein jeder Kämpe seinen Gegner ad absurdum führen Und die wahre Göttlichkeit Seines Gottes demonstrieren. Festgestellt ist: daß derjen'ge, Der im Streit ward überwunden, Seines Gegners Religion Anzunehmen sei verbunden, Daß der Jude sich der Taufe Heil'gem Sakramente füge, Und im Gegenteil der Christ Der Beschneidung unterliege. Jedem von den beiden Kämpen Beigesellt sind elf Genossen, Die zu teilen sein Geschick Sind in Freud und Leid entschlossen. Glaubenssicher sind die Mönche Von des Gardians Geleitschaft, Halten schon Weihwasserkübel Für die Taufe in Bereitschaft, Schwingen schon die Sprengelbesen Und die blanken Räucherfässer - Ihre Gegner unterdessen Wetzen die Beschneidungsmesser. Beide Rotten stehn schlagfertig Vor den Schranken in dem Saale, Und das Volk mit Ungeduld Harret drängend der Signale. Unterm güldnen Baldachin Und umrauscht vom Hofgesinde Sitzt der König und die Kön'gin; Diese gleichet einem Kinde. Ein französisch stumpfes Näschen, Schalkheit kichert in den Mienen, Doch bezaubernd sind des Mundes Immer lächelnde Rubinen. Schöne, flatterhafte Blume - Daß sich ihrer Gott erbarme - Von dem heitern Seineufer Wurde sie verpflanzt, die arme, Hierher in den steifen Boden Der hispanischen Grandezza; Weiland hieß sie Blanch' de Bourbon, Doña Blanka heißt sie jetzo. Pedro wird genannt der König Mit dem Zusatz der Grausame; Aber heute, milden Sinnes, Ist er besser als sein Name. Unterhält sich gut gelaunt Mit des Hofes Edelleuten; Auch den Juden und den Mohren Sagt er viele Artigkeiten. Diese Ritter ohne Vorhaut Sind des Königs Lieblingsschranzen, Sie befehl'gen seine Heere, Sie verwalten die Finanzen. Aber plötzlich Paukenschläge, Und es melden die Trompeten, Daß begonnen hat der Maulkampf, Der Disput der zwei Athleten. Der Gardian der Franziskaner Bricht hervor mit frommem Grimme; Polternd roh und widrig greinend Ist abwechselnd seine Stimme. In des Vaters und des Sohnes Und des Heil'gen Geistes Namen Exorzieret er den Rabbi, Jakobs maledeiten Samen. Denn bei solchen Kontroversen Sind oft Teufelchen verborgen In dem Juden, die mit Scharfsinn, Witz und Gründen ihn versorgen. Nun die Teufel ausgetrieben Durch die Macht des Exorzismus, Kommt der Mönch auch zur Dogmatik, Kugelt ab den Katechismus. Er erzählt, daß in der Gottheit Drei Personen sind enthalten, Die jedoch zu einer einz'gen, Wenn es passend, sich gestalten - Ein Mysterium, das nur Von demjen'gen wird verstanden, Der entsprungen ist dem Kerker Der Vernunft und ihren Banden. Er erzählt: wie Gott der Herr Ward zu Bethlehem geboren Von der Jungfrau, welche niemals Ihre Jungferschaft verloren; Wie der Herr der Welt gelegen In der Krippe, und ein Kühlein Und ein Öchslein bei ihm stunden, Schier andächtig, zwei Rindviehlein. Er erzählte: wie der Herr Vor den Schergen des Herodes Nach Ägypten floh, und später Litt die herbe Pein des Todes Unter Pontio Pilato, Der das Urteil unterschrieben, Von den harten Pharisäern, Von den Juden angetrieben. Er erzählte: wie der Herr, Der entstiegen seinem Grabe Schon am dritten Tag, gen Himmel Seinen Flug genommen habe; Wie er aber, wenn es Zeit ist, Wiederkehren auf die Erde Und zu Josaphat die Toten Und Lebend'gen richten werde. »Zittert, Juden!« rief der Mönch, »Vor dem Gott, den ihr mit Hieben Und mit Dornen habt gemartert, Den ihr in den Tod getrieben. Seine Mörder, Volk der Rachsucht, Juden, das seid ihr gewesen - Immer meuchelt ihr den Heiland, Welcher kommt, euch zu erlösen. Judenvolk, du bist ein Aas, Worin hausen die Dämonen; Eure Leiber sind Kasernen Für des Teufels Legionen. Thomas von Aquino sagt es, Den man nennt den großen Ochsen Der Gelehrsamkeit, er ist Licht und Lust der Orthodoxen. Judenvolk, ihr seid Hyänen, Wölfe, Schakals, die in Gräbern Wühlen, um der Toten Leichnam' Blutfraßgierig aufzustöbern. Juden, Juden, ihr seid Säue, Paviane, Nashorntiere, Die man nennt Rhinozerosse, Krokodile und Vampire. Ihr seid Raben, Eulen, Uhus, Fledermäuse, Wiedehöpfe, Leichenhühner, Basilisken, Galgenvögel, Nachtgeschöpfe. Ihr seid Vipern und Blindschleichen, Klapperschlangen, gift'ge Kröten, Ottern, Nattern - Christus wird Eu'r verfluchtes Haupt zertreten. Oder wollt ihr, Maledeiten, Eure armen Seelen retten? Aus der Bosheit Synagoge Flüchtet nach den frommen Stätten, Nach der Liebe lichtem Dome, Wo im benedeiten Becken Euch der Quell der Gnade sprudelt - Drin sollt ihr die Köpfe stecken - Wascht dort ab den alten Adam Und die Laster, die ihn schwärzen; Des verjährten Grolles Schimmel, Wascht ihn ab von euren Herzen! Hört ihr nicht des Heilands Stimme? Euren neuen Namen rief er - Lauset euch an Christi Brust Von der Sünde Ungeziefer! Unser Gott, der ist die Liebe, Und er gleichet einem Lamme; Um zu sühnen unsre Schuld, Starb er an des Kreuzes Stamme. Unser Gott, der ist die Liebe, Jesus Christus ist sein Name; Seine Duldsamkeit und Demut Suchen wir stets nachzuahmen. Deshalb sind wir auch so sanft, So leutselig, ruhig, milde, Hadern niemals, nach des Lammes, Des Versöhners, Musterbilde. Einst im Himmel werden wir Ganz verklärt zu frommen Englein, Und wir wandeln dort gottselig, In den Händen Lilienstenglein. Statt der groben Kutten tragen Wir die reinlichsten Gewänder Von Muss'lin, Brokat und Seide, Goldne Troddeln, bunte Bänder. Keine Glatze mehr! Goldlocken Flattern dort um unsre Köpfe; Allerliebste Jungfraun flechten Uns das Haar in hübsche Zöpfe. Weinpokale wird es droben Von viel weiterm Umfang geben, Als die Becher sind hier unten, Worin schäumt der Saft der Reben. Doch im Gegenteil viel enger Als ein Weibermund hienieden, Wird das Frauenmündchen sein, Das dort oben uns beschieden. Trinkend, küssend, lachend wollen Wir die Ewigkeit verbringen, Und verzückt Halleluja, Kyrie eleison singen.« Also schloß der Christ. Die Mönchlein Glaubten schon, Erleuchtung träte In die Herzen, und sie schleppten Flink herbei das Taufgeräte. Doch die wasserscheuen Juden Schütteln sich und grinsen schnöde. Rabbi Juda, der Navarrer, Hub jetzt an die Gegenrede: »Um für deine Saat zu düngen Meines Geistes dürren Acker, Mit Mistkarren voll Schimpfwörter Hast du mich beschmissen wacker. So folgt jeder der Methode, Dran er nun einmal gewöhnet, Und anstatt dich drob zu schelten, Sag ich Dank dir, wohlversöhnet. Die Dreieinigkeitsdoktrin Kann für unsre Leut' nicht passen, Die mit Regula-de-tri Sich von Jugend auf befassen. Daß in deinem Gotte drei, Drei Personen sind enthalten, Ist bescheiden noch, sechstausend Götter gab es bei den Alten. Unbekannt ist mir der Gott, Den ihr Christum pflegt zu nennen; Seine Jungfer Mutter gleichfalls Hab ich nicht die Ehr' zu kennen. Ich bedaure, daß er einst, Vor etwa zwölfhundert Jahren, Ein'ge Unannehmlichkeiten Zu Jerusalem erfahren. Ob die Juden ihn getötet, Das ist schwer jetzt zu erkunden, Da ja das Corpus delicti Schon am dritten Tag verschwunden. Daß er ein Verwandter sei Unsres Gottes, ist nicht minder Zweifelhaft; soviel wir wissen, Hat der letztre keine Kinder. Unser Gott ist nicht gestorben Als ein armes Lämmerschwänzchen Für die Menschheit, ist kein süßes Philantröpfchen, Faselhänschen. Unser Gott ist nicht die Liebe; Schnäbeln ist nicht seine Sache, Denn er ist ein Donnergott Und er ist ein Gott der Rache. Seines Zornes Blitze treffen Unerbittlich jeden Sünder, Und des Vaters Schulden büßen Oft die späten Enkelkinder. Unser Gott, der ist lebendig, Und in seiner Himmelshalle Existieret er drauflos Durch die Ewigkeiten alle. Unser Gott, und der ist auch Ein gesunder Gott, kein Mythos Bleich und dünne wie Oblaten Oder Schatten am Cocytos. Unser Gott ist stark. In Händen Trägt er Sonne, Mond, Gestirne; Throne brechen, Völker schwinden, Wenn er runzelt seine Stirne. Und er ist ein großer Gott. David singt: Ermessen ließe Sich die Größe nicht, die Erde Sei der Schemel seiner Füße. Unser Gott liebt die Musik, Saitenspiel und Festgesänge; Doch wie Ferkelgrunzen sind Ihm zuwider Glockenklänge. Leviathan heißt der Fisch, Welcher hause im Meeresgrunde; Mit ihm spielet Gott der Herr Alle Tage eine Stunde - Ausgenommen an dem neunten Tag des Monats Ab, wo nämlich Eingeäschert ward sein Tempel; An dem Tag ist er zu grämlich. Des Leviathans Länge ist Hundert Meilen, hat Floßfedern Groß wie König Ok von Basan, Und sein Schwanz ist wie ein Zedern. Doch sein Fleisch ist delikat, Delikater als Schildkröten, Und am Tag der Auferstehung Wird der Herr zu Tische beten Alle frommen Auserwählten, Die Gerechten und die Weisen - Unsres Herrgotts Lieblingsfisch Werden sie alsdann verspeisen, Teils mit weißer Knoblauchbrühe, Teils auch braun in Wein gesotten, Mit Gewürzen und Rosinen, Ungefähr wie Mateloten. In der weißen Knoblauchbrühe Schwimmen kleine Schäbchen Rettich - So bereitet, Frater Jose, Mundet dir das Fischlein, wett ich! Auch die braune ist so lecker, Nämlich die Rosinensauce, Sie wird himmlisch wohl behagen Deinem Bäuchlein, Frater Jose. Was Gott kocht, ist gut gekocht! Mönchlein, nimm jetzt meinen Rat an, Opfre hin die alte Vorhaut Und erquick dich am Leviathan.« Also lockend sprach der Rabbi, Lockend, ködernd, heimlich schmunzelnd, Und die Juden schwangen schon Ihre Messer wonnegrunzelnd, Um als Sieger zu skalpieren Die verfallenen Vorhäute, Wahre spolia opima In dem wunderlichen Streite. Doch die Mönche hielten fest An dem väterlichen Glauben Und an ihrer Vorhaut, ließen Sich derselben nicht berauben. Nach dem Juden sprach aufs neue Der katholische Bekehrer; Wieder schimpft er, jedes Wort Ist ein Nachttopf, und kein leerer. Darauf repliziert der Rabbi Mit zurückgehaltnem Eifer; Wie sein Herz auch überkocht, Doch verschluckt er seinen Geifer. Er beruft sich auf die Mischna, Kommentare und Traktate; Bringt auch aus dem Tausves-Jontof Viel beweisende Zitate. Aber welche Blasphemie Mußt er von dem Mönche hören! Dieser sprach: der Tausves-Jontof Möge sich zum Teufel scheren. »Da hört alles auf, o Gott!« Kreischt der Rabbi jetzt entsetzlich; Und es reißt ihm die Geduld, Rappelköpfig wird er plötzlich. »Gilt nichts mehr der Tausves-Jontof, Was soll gelten? Zeter! Zeter! Räche, Herr, die Missetat, Strafe, Herr, den Übeltäter! Denn der Tausves-Jontof, Gott, Das bist du! Und an dem frechen Tausves-Jontof- Leugner mußt du Deines Namens Ehre rächen. Laß den Abgrund ihn verschlingen, Wie des Korah böse Rotte, Die sich wider dich empört Durch Emeute und Komplotte. Donnre deinen besten Donner! Strafe, o mein Gott, den Frevel - Hattest du doch zu Sodoma Und Gomorrha Pech und Schwefel! Treffe, Herr, die Kapuziner, Wie du Pharaon getroffen, Der uns nachgesetzt, als wir Wohlbepackt davongeloffen. Hunderttausend Ritter folgten Diesem König von Mizrayim, Stahlbepanzert, blanke Schwerter In den schrecklichen Jadayim. Gott! da hast du ausgestreckt Deine Jad, und samt dem Heere Ward ertränkt, wie junge Katzen, Pharao im Roten Meere. Treffe, Herr, die Kapuziner, Zeige den infamen Schuften, Daß die Blitze deines Zorns Nicht verrauchten und verpufften. Deines Sieges Ruhm und Preis Will ich singen dann und sagen, Und dabei, wie Mirjam tat, Tanzen und die Pauke schlagen.« In die Rede grimmig fiel Jetzt der Mönch dem Zornentflammten: »Mag dich selbst der Herr verderben, Dich Verfluchten und Verdammten! Trotzen kann ich deinen Teufeln, Deinem schmutz'gen Fliegengotte, Luzifer und Beelzebube, Belial und Astarothe. Trotzen kann ich deinen Geistern, Deinen dunkeln Höllenpossen, Denn in mir ist Jesus Christus, Habe seinen Leib genossen. Christus ist mein Leibgericht, Schmeckt viel besser als Leviathan Mit der weißen Knoblauchsauce, Die vielleicht gekocht der Satan. Ach! anstatt zu disputieren, Lieber möcht ich schmoren, braten Auf dem wärmsten Scheiterhaufen Dich und deine Kameraden.« Also tost in Schimpf und Ernst Das Turnei für Gott und Glauben, Doch die Kämpen ganz vergeblich Kreischen, schelten, wüten, schnauben. Schon zwölf Stunden währt der Kampf, Dem kein End' ist abzuschauen; Müde wird das Publikum, Und es schwitzen stark die Frauen. Auch der Hof wird ungeduldig, Manche Zofe gähnt ein wenig. Zu der schönen Königin Wendet fragend sich der König: »Sagt mir, was ist Eure Meinung? Wer hat recht von diesen beiden? Wollt Ihr für den Rabbi Euch Oder für den Mönch entscheiden?« Doña Blanka schaut ihn an, Und wie sinnend ihre Hände Mit verschränkten Fingern drückt sie An die Stirn und spricht am Ende: »Welcher recht hat, weiß ich nicht - Doch es will mich schier bedünken, Daß der Rabbi und der Mönch, Daß sie alle beide stinken.«
Theodor Herzl (1860 – 1904)
Junge Juden Wann erscheint mir als gelungen Mein Bemüh’n auf dieser Erden? Wenn aus armen Judenjungen Stolze junge Juden werden!
Ernst Lissauer (1882 – 1937)
Zweier Völker Last O Volk, mein Volk! Welch Volk ist denn nun mein? Wie eine Kiepe voll Geschichts-Gestein Schleppe ich zweier Völker Last. Dem Deutschen Jude, deutsch getarnt, Dem Juden deutsch, treulos an Israel – Hört ihr die Klapper, welche weithin warnt? Aussätzig von der beiden Völker Fehl! Dumpf um mich bläst Jahrtausendwind, Ich kauere hoch am wilden Zeitenpaß Und kratze mir den grauen Grind Der Weltgeschichte, siech von Völkerhaß.
Ernst Stadler (1883 – 1914)
Judenviertel in London Dicht an den Glanz der Plätze fressen sich und wühlen Die Winkelgassen, wüst in sich verbissen, Wie Narben klaffend in das nackte Fleisch der Häuser eingerissen Und angefüllt mit Kehricht, den die schmutzigen Gossen überspülen. Die vollgestopften Läden drängen sich ins Freie. Auf langen Tischen staut sich Plunder wirr zusam-men: Kattun und Kleider, Fische, Früchte, Fleisch, in ekler Reihe Verstapelt und bespritzt mit gelben Naphthaflammen. Gestank von faulem Fleisch und Fischen klebt an Wänden. Süßlicher Brodem tränkt die Luft, die leise nachtet. Ein altes Weib scharrt Abfall ein mit gierigen Händen Ein blinder Bettler plärrt ein Lied, das keiner achtet. Man sitzt vor Türen, drückt sich um die Karren. Zerlumpte Kinder kreischen über dürftigem Spiele. Ein Grammopquäkt auf, zerbrochne Weiberstimmen knarren, Und fern erdröhnt die Stadt im Donner der Automobile
Karl Stelter (1823-1912)
Antisemiten Antisemiten sind nur entstanden Aus Konkurrenten und Schuldenmachern, Die, weil sie keinen Kredit mehr fanden, Wurden zu Judenwidersachern. Wer nie nach der Decke sich hat gestreckt, Der hat s e i n Verschulden im J u d e n entdeckt.
Otto Richardt Schmidt-Cabanis (1838-1903)
Die Sonne bleibt. Welch´ein Knäuel menschlichen Elends rollt Dort auf unsere friedliche Flur heran?! Welche Lawine von Elend wälzt sich Unseren blühenden Gauen zu ?! Weinende Kinder, Der sorgenden Mutterhut Jach entrissen; Schwache Matronen, des stützenden Stabes bar; Männer, zu Greisen darniedergedrückt Durch die bleierne Wucht der Noth; Weiber, das Haar zerrauft Und die Brüste zerfleischt, Mit den stieren, zährenzerfressenen Augen vergeblich Nach der Spur ihrer Söhne suchend! Sagt, wer seid Ihr, Unselige? Redet, welch´ Schreckniß hat Euch betroffen?! Hat die brandende Fluth Eure Aecker ertränkt? Hat der brausende Sturm Eure Hütten zerstört? Hat des Feuers glutfauchender Odem Euer Erbe zu Asche versengt? Hat der berstende Leib der Erde Gierig verschlungen Euch Gut und Hab´?! – – – „Wehe, was forschest Du? Weh´, warum fragst Du ? Nimmer der Elemente Haß Kann so grausamen Spruch vollzieh´n: B l i n d zerstören sie, B l i n d vernichten sie M i t ihren O p f e r n s i ch s e l b st zugleich! S e h e n d e n Auges vermag nur der M e n s ch So gegen S e i n e s g l e i ch e n zu wüthen!“ – – – Dann hat des Krieges höllische Geißel Also von Haus und Hof Euch vertrieben, Hat Euch verjagt aus dem wohnlichen Heim, Hat Euch rechtlos und mundtodt gemacht ?! Aber wie ist mir? – ich mein, es ruht ja Rings in der Scheide das scharfe Schwert; Nirgend umher in den Landen loht Jenes Dämons furchtbare Fackel, Deren Flamme allein Fließendes Menschenblut löscht ?! – – – „Nicht hat der Krieg, der Völker Verderben, Uns in die Fremde hinausgetrieben, Nicht uns´re Hütten ein G e g n e r zerstört! B r ü d e r sind dieses Unheils Erzeuger, Sprossen der eigenen Scholle haben Uns der bleibenden Stätte beraubt, Haben das Kind von der Mutterbrust, Haben das Weib vom Gatten gerissen; In die Oede, in Hunger und Elend Wandern wir auf des Landesvaters, Auf des eigenen Herrschers Geheiß!“ – – – Und warum? Was habt Ihr verbrochen ? Habt Ihr „ihn“, den Gesalbten, geschmäht? Habt Ihr das Reich dem Feinde verrathen? Habt Ihr verletzt das heil´ge Gesetz? Welchen unaussprechlichen Freveln Droht solche Sühne – um Gotteswillen?! – – – „Wehe, Du sagst es: um G o t t e s willen Sind wir geworden wie Du uns siehst! Weil wir den Einen Gott, den alleinigen, Ihn, den Schöpfer von Himmel und Erde, U n s e r n Gott und E u r e n und i h r e n, Etwas anders als sie bekennen, In etwas andern Lauten ihn loben, In etwas andrer Form zu ihm beten, D a r u m haben sie D a s uns gethan! – – – D a r u m ? N u r d a r u m ? So wird G o t t Euch retten, Der der Seinen nimmer vergißt! – – – „G o t t soll uns helfen?! Er hat geschaut die Schmach, Er hat geduldet die That – G o t t hat uns v e r l a s s e n ! Was können wir gegen sein Gebot? Uns bleibt ein Weg nur: Verzweifeln und sterben!“ – – – Nimmer, Ihr Dulder, sei dies das Ende! Auf zu den Wolken hebet den Blick; Wie diese dunklen, flücht´gen, zerreißen: Schwindet das Unheil, das Menschen uns schaffen; Wie vor des Windes Wehen sie weichen, Schwindet das Dräuen der E r d e n g ö t t e r! Aber die S o n n e bleibt, Aber die Sonne strahlt Leuchtend herab vom ewigen Himmel; Und so strahlt Euch das Auge des Einen, Wahren, Ewigen Unerforschlichen! Habt Ihr g e g l a u b t ihn, so h o f f t auch auf ihn, Der Euch wird l i e b e n d gen Kanaan führen! G l a u b e, H o f f n u n g und L i e b e, die drei Boten des mächtigen Herrschers der Welten, Sind Euch geblieben in Kummer und Noth! Fest auf des G l a u b e n s Fels Wurzle der Hütte Grund, Die Ihr auf freier Erde Euch werdet Neu erbauen mit neuer Kraft; H o f f n u n g, des hehren, Ernsten Bruders mildere Schwester, Trockne die Zähren Euch von der Wange; Aber die L i e b e, die stärkste von ihnen, Reicht Euch von Herzen die Hand, Führt Euch den dornigen Pfad . . . . . . . Faßt ihre Rechte; sie stützt Euch, sie trägt Euch; W i r h e l f e n A l l e Euch um der L i e b e willen!
Heinrich Heine (1797 – 1856)
Einem Abtrünnigen O des heil’gen Jugendmutes! O, wie schnell bist du gebändigt! Und du hast dich kühlern Blutes Mit den lieben Herrn verständigt. Und du bist zu Kreuz gekrochen, Zu dem Kreuz, das du verachtest, Das du noch vor wenig Wochen In den Staub zu treten dachtest! O, das tut das viele Lesen Jener Schlegel, Haller, Burke – Gestern noch ein Held gewesen, Ist man heute schon ein Schurke.
Ada Christen, (Pseud. für Chrstiane von Breden; 1844 – 1901)
Auf dem alten jüdischen Friedhof zu Prag Sinnend stand ich bei dem Grabe Rabbi Löws, des jüdischen Weisen, Hörte wie im Traum den Führer Seinen toten Ahnherrn preisen. Und warum, so frug ich staunen, All die Juden, groß’ und kleine, Auf das Grab mit leisem Murmeln Werfen bunte Kieselsteine? Und es wurde mir die Antwort: „Um zu ehren, ist geboten, Daß wir Blumen streun Lebend’gen, Steine auf das Grab den Toten.“ Von solch heidnischem Gebrauche Sind wir Christen längst gereinigt, Wir bekränzen stets die Gräber Jener, welche wir gesteinigt.
Adolph Donath (1876 – 1937)
War ein Jude und ein Krüppel, Und sie peitschten ihn hinaus... Draußen wüteten die Donner, Und es sprach der Gott der Rache: „Sieh, du Schöpfung meiner Hände, Meine Donner schenke ich dir, Daß sie deine Feinde schlagen; Denn dein Herz ist eine Träne!“ - - Gib mir meine alte Erde!...“ Da zerteilten sich die Wolken, Alte Sonnen kamen wieder, Und die weißen Engel sangen Judas Zukunftsmelodei.
Ernst Stadler (1883 – 1914)
Gratia divinae pietatis adesto savinae de petra dura perquam sum facta figura (Alte Inschrift am Straßburger Münster) Zuletzt, da alles Werk verrichtet, meinen Gott zu loben, Hat meine Hand die beiden Frauenbilder aus dem Stein gehoben. Die eine aufgerichtet, frei und unerschrocken – Ihr Blick ist Sieg, ihr Schreiten glänzt Frohlocken. Zu zeigen, wie sie freudig über allem Erdenmühsal throne, Gab ich ihr Kelch und Kreuzesfahne und die Krone. Aber meine Seele, Schönheit ferner Kindertage und mein tief verstecktes Leben Hab ich der Besiegten, der Verstoßenen gegeben. Und was ich in mir trug an Stille, sanfter Trauer und demütigem Verlangen Hab ich sehnsüchtig über ihren Kinderleib gehangen: Die schlanken Hüften ausgebuchtet, die der lockre Gürtel hält, Die Hügel ihrer Brüste zärtlich aus dem Linnen aus-gewellt, Ließ ihre Haare über Schultern hin wie einen blon-den Regen fließen, Liebkoste ihre Hände, die das alte Buch und den zerknickten Schaft umschließen, Gab ihren schlaffen Armen die gebeugte Schwermut gelber Weizenfelder, die in Julisonne schwellen, Dem Wandeln ihrer Füße die Musik von Orgeln, die an Sonntagen aus Kirchentüren quellen. Die süßen Augen mußten eine Binde tragen, Daß rührender durch dünne Seide wehe ihrer Wim-pern Schlagen. Und Lieblichkeit der Glieder, die ihr weiches Hemd erfüllt, Hab ich mit Demut ganz und gar umhüllt, Daß wunderbar in Gottes Brudernähe Von Niedrigkeit umglänzt ihr reines Bildnis stehe.
Alfred Lichtenstein (1889 – 1914)
Der Rauch auf dem Felde Lene Levi lief am Abend Trippelnd, mit gerafften Röcken, Durch die langen, leeren Straßen Einer Vorstadt. Und sie sprach verweinte, wehe, Wirre, wunderliche Worte, Die der Wind warf, daß sie knallten Wie die Schoten, Sich an Bäumen blutig ritzten Und verfetzt an Häusern hingen Und in diesen tauben Straßen Einsam starben. Lene Levi lief, bis alle Dächer schiefe Mäuler zogen, Und die Fenster Fratzen schnitten Und die Schatten Ganz betrunkne Späße machten – Bis die Häuser hilflos wurden Und die stumme Stadt vergangen War in weiten Feldern, die der Mond beschmierte . . . Lenchen nahm aus ihrer Tasche Eine Kiste mit Zigarren, Zog sich weinend Aus und rauchte . . .
Ernst Lissauer (1882-1937)
"Feindes-Sprache" „Du, der die Sprache seiner Feinde spricht! Du, der mit jedem Laut die Schmach vergibt! Du, der die Sprache seiner Feinde liebt! Mit jeder Silbe hältst du dir Gericht!“ Und ob sie mich auch schmähn auf allen Gassen, Ich kann die deutsche Sprache niemals hassen. Aus deutscher Sprache ist mein Geist gebaut, Die fremde Luft wird deutsch von meinem Laut. Ich bin verbannt, Nicht aus dem Wort. Es zieht mit mir – Mein Land, Mein Ort.
Ludwig Robert (1778-1832; Pseud. für Liepmann Levin; Bruder Rahel Levin-Varnhagens)
Jude und Christ Wenn der ein Jud’ ist, der im Mutterleibe Verdammt schon ward zu niedrem Sklavenstande, Der ohne Rechte lebt im Vaterlande, Dem Pöbel, der mit Kot wirft, eine Scheibe, Dem gar nichts hilft, was er auch tu’ und treibe, Des Leidenskelch doch voll bleibt bis am Rande, Verachtungsvoll und schmachvoll bis am Rande – Dann bin ich Jud’ und weiß auch, daß ich’s bleibe. Und wenn der Christ ist, der sich streng befleißet, Sein Erdenkreuz in Demut zu ertragen, Und die zu lieben, die ihn tödlich hassen, Glaubend, daß alles, was sein Herz zerreißet, Der Herr, um ihn zu prüfen, zugelassen – Dann bin ich Christ! Das darf ich redlich sagen.
Hugo Zuckermann 1881 – 1915 (einer Kriegsverletzung erlegen)
Die neuen Makkabäer Heute darf ich den Genossen Makkabäerlieder sagen, Weil ich selbst ein Schwert getragen Und mein rotes Blut vergossen. Heute keine Siegeslieder, Heute keine Freudenkerzen – Beugt euch mit zerriss’nen Herzen Zur entweihten Erde nieder! Noch ist nicht die Zeit vollendet, Noch ist nicht das Land gereinigt, Noch wird unser Volk gesteinigt, Unsre Tempel sind geschändet. Keiner festlich hellen Stuben Siebenarmig Kerzenschimmern – Über Scherben, Schutt und Trümmern Raufen sich zerlumpte Buben. In den weihedunklen Schulen Stampfen die Kosakenrosse, Nach dem Lied der letzten Posse Walzen zwei betrunk’ne Buhlen. Unter der Granaten Pochen, Die den Friedhof gut getroffen, - Alle Gräber gähnen offen – Speit die Erde Totenknochen. Darum keine Siegeslieder, Darum keine Freudenkerzen – Beugt euch mit zerriss’nen Herzen Zur entweihten Erde nieder! In die harten Hände pressen Sollt ihr fest zwei Erdenbrocken! Meine Rechte werde trocken, Könnt’ ich deiner je vergessen! Deiner Seufzer, deiner Tränen, Deiner Schwären, deiner Schande! Judenvolk im Polenlande, In dem Rachen der Hyänen! Wer ein gutes Schwert kann schwingen, Wer noch kann die Büchse tragen, Wer da kann die Trommel schlagen, Soll den Arm zum Opfer bringen. Wer die Berge kann bezwingen, Wen ein flinkes Roß getragen, Wer sich auf den Mast will wagen, Soll die Beine uns verdingen. Eure Künste, euer Streben, Eure festen Daseinsplätze, Eure Häuser, eure Schätze Heischen wir und: euer Leben! Euer Leben, daß nicht sterbe Väterart und Vätererbe. Macht den Tempel wieder rein, Laßt uns Makkabäer sein!
Theodor Lessing (1872 – 1933; ermordet)
Du bist andre Art („Werbung“) Gib mir die Hand und laß mich dein Auge sehn. Gingst du allein als Kind, oft im Wald allein? Liebst du in Nächten schlaflos am Fenster stehn? Schlaflos der Sterne Schein? Frau, die ich liebe, kennst du den Hunger gut? Kennst du den Hunger und alles das Grämen da? Nagt auch an dir der verschütteten Träume Glut? Stirbst du auf Golgatha? Frau, die ich liebe, sprich von der Winterfrist, Wo ersteht all das zuckende Jugendweh, Das im Lächeln – ihnen – begraben ist, Unser totes Kind im Schnee. Kennst du es nicht, wirst du nimmer mein, Denn du bist andre Art, und die Stunde kommt, Wo du verachten wirst, was dir nicht frommt ... Und ich werd’ schweigen und lächeln und wieder einsam sein.
Stefan George (1868-1933)
Germanen und Juden Ihr Äußerste von windumsauster Klippe Und schneeiger Brache! Ihr von glühender Wüste! Stammort des Gott-Gespenstes – gleich Entfernte Von heitrem Meer und Binnen, wo sich Leben Zu Ende lebt in Welt von Gott und Bild! . . . Blond oder schwarz demselben Schoß entsprungne, Verkannte Brüder, suchend euch und hassend, Ihr immer schweifend und drum nie erfüllt!
Mathias Acher (Nathan Birnbaum; 1864-1937)
Ihr und ich Ihr habt mir das Schwert aus den Händen gewunden, Die Krone gerissen vom Königshaupt, Ihr habt mir den Rücken krumm gebunden, Den kecken, den siegenden Blick geraubt! Ihr habt mich aus einsamer Höhe gestoßen, In wimmelnde Tiefe hinabgedrängt, Ihr habt meinen Stolz, den reinen und großen, In Schmutz und Schlamm und Sumpf ertränkt! Ihr habt mich gehalten in dumpfen Verließen Und habt mir gestohlen die jauchzende Welt, Ihr habt mich betrogen ums Glückgenießen Und habt mir den Sinn meines Lebens entstellt! So will ich euch fluchen und will euch hassen! Doch nein! – Ich entkam ja der Schmach und Not; Wohl könnt ihr´s in eurem Dünkel nicht fassen, Wie blutend Leben weiter loht: Aus meinem Herzen hab’ ich gesogen Viel sonnige Fäden so fein und fest, Und hab’ mir daraus zusammengewoben Ein neues, lauschiges Weltennest. Aus meinem Geiste hab’ ich geschmiedet Mir hurtig Krone und Schwert zugleich, Nun rag’ ich aufrecht und glanzumfriedet In meinem jungen Gedankenreich. Und hole aus tiefen Seelenverstecken Mein Wollen, den zeugenden Sturm, hervor, Und lass’ ihn wirbeln und lass’ ihn wecken Aus Ahnen und Denken die Taten empor! ... So will ich euch segnen und will euch lieben, Soviel und so schwer ihr gesündigt an mir! Denn ich bin das siegende Opfer geblieben Und reueverfallene Henker ihr!
Ludwig Fulda (1862-1939 Suizid)
Sagt Einer heut auf hohem Rednerpult Mit etwas Zungenkunst und Spiegelfechten: „Die Müllerknechte sind an Allem schuld, An allem Schädlichen und allem Schlechten“, Und wiederholt im Lande weit und breit Den gleichen Satz mit kühler Überlegung, Dann haben wir äußerst kurzer Zeit Die große Anti-Müllerknecht-Bewegung.
Max Nordau (Pseud. für Max Simon Südfeld), 1849-1923
Dem Antisemiten Wie den köstlichsten Wein zu Essigsäure Vergiftet das faulige, kahmige Faß, So die christliche Liebe verderbet eure Modrige Seele zu christlichem Haß. Des Heilands wollen nun wir gedenken, Da ihr ihn vergesst in heidnischer Wuth, Und Mitleid auch und Verzeihung schenken Sprechend: Ihr wisst nicht, was ihr thut!“
Günther Walling (1839-1896; Karl Fr. Ulrici)
Den Brüdern in Christo (1893) Sie haben unsre Schlachten mitgeschlagen, Sie haben unsre Siege miterrungen, Und dennoch schmäht Ihr sie mit Lästerzungen; Weshalb? – Weil sie den Namen Juden tragen. Sie haben mitgeweint bei unserm Klagen, Sie haben laut ihr Freudenlied gesungen, Als wir errangen Ruhm und Huldigungen; Deutsch, wie ihr Wort, war ihres Herzens Schlagen. Und nun, da Deutschland groß und neu geeinigt, Ist Euer Dank und Euer christlich Lieben, Daß laut Ihr ruft: „Die Juden kreuzigt, steinigt.“ Ein Brandmahl habt in eitler Sinnumnachtung Ihr auf die Heuchlerstirn Euch selbst geschrieben; Nur ein Gefühl bleibt mir für Euch: Verachtung!
E. Henle (Pseud. für Elise Levi, geb. Henle, 1832-1892)
Was ich davon halte? Der Antisemitismus ist – Sie fragen, was i ch davon halte – Ein Rückschritt, der nach Jahrhunderten mißt, Die Rohheit wecket, die alte. Er ist eine Schande für unsre Zeit, Ein Auswuchs und häßliches Mal; Ich sehe ihn wachsen und seh´ es mit Leid, Daß möglich ein solcher Skandal. Dort, wo er begonnen, dort müsse er enden, Ich klage die Obersten an, Sie hatten die Macht, das Unheil zu wenden, Und s i e gaben frei ihm die Bahn. Nun wälzt sich, verheerend der gräßliche Brand, Geschürt von dunkelen Männern, Durch Deutschlands Gauen von Land zu Land, Geschützt von heimlichen Gönnern. Und so wird es bleiben noch endlose Zeit Trotz eifrigen, mühsamen Strebens, Und nimmer wird enden des Judenvolks Leid, Denn h i e r kämpfen Götter vergebens.
Nikolaus Lenau (Pseud. für Niembsch Edler von Strehlenau, 1802-1850)
Der arme Jude Armer Jude, der du wandeln Mußt von Dorf zu Dorf hausierend, Schlecht genährt und bitter frierend, Allwärts rufend: „Nichts zu handeln?!“ Holt die Seuche Mann und Frauen, Ziehst du nach auf ihrer Fährte, Und die Kleider, die sie leerte, Schleppst du fort, dir darf nicht grauen. Auf dem Baume krächzt der Rabe, Hunde zerren dich am Rocke, Schneegestöber Flock an Flocke. Fleißig wanderst du am Stabe. Ein Jerusalem, papieren, Bauen deine Stammgenossen, Doch für dich ist es verschlossen, Wandern mußt du, darben, frieren. Jene haben’s hoch getrieben, Du verschacherst alte Kleider; Aber alle seid ihr leider Ein geknicktes Volk geblieben.